Dienstag, 26. Dezember 2006

Wortkleptomanie

kostenloser Counter




Seltsame Begegnungen heute, die ewig offenen Geschwüre der Grenzziehung. Heiner Müller, Nan Goldin und Louise Bourgeois, hatte Zeit, die Feuilletons zu studieren. Aufgeräumt, geputzt, mich nicht mit den weihnachtswütigen Hundehassern angelegt. Eine Verabredung zum Tee missglückt, das lässt sich nachholen.
"Dummy" von Portishead hilft beim Neustart, die alten Projekte neu angeliebt, Wortklaubereien, Satzdetektei, Vokabelkleptomanie...

Ausschnitt aus: Heiner Müller "Quartett"
...
VALMONT Madame de Tourvel.
MERTEUIL Sie sind eine Hure, Valmont.
VALMONT Ich erwarte meine Strafe, Königin.
MERTEUIL Hat meine Liebe für die Hure keine Züchtigung verdient.
VALMONT Ich bin ein Dreck. Ich will Ihren Kot essen.
MERTEUIL Dreck zu Dreck. Ich will, daß Sie mich anspein.
VALMONT Ich will, daß Sie Ihr Wasser auf mich lassen.
MERTEUIL Ihren Kot.
VALMONT Beten wir, Mylady, daß die Hölle uns nicht trennt.
MERTEUIL Und jetzt wollen wir die Präsidentin sterben lassen, Valmont, an ihrem vergeblichen Fehltritt. Das Damenopfer.
VALMONT Ich habe mich Ihnen zu Füßen gelegt, Valmont, damit Sie nicht mehr straucheln. Sie haben mich getauft mit dem Parfüm der Gosse. Aus dem Himmel meiner Ehe habe ich mich in den Abgrund Ihrer Begierden geworfen zur Rettung dieser Jungfrau. Ich habe Ihnen gesagt, daß ich mir den Tod geben werde, wenn Sie dem Bösen, das aus Ihnen greift, auch dies mal nicht widerstehn. Ich habe Sie gewarnt, Valmont. Alles was ich für Sie jetzt noch tun kann ist, daß ich Sie in mein letztes Gebet einschließe. Sie sind mein Mörder, Valmont.
MERTEUIL Bin ich das. Zu viel Ehre, Madame. Ich habe die Gebote nicht verhängt, in deren Befolgung Sie sich exekutieren wollen. Haben Sie keinen Lustgewinn gezogen aus Ihrem frommen Ehebruch, außer den zarten Gewissensbiß, den Sie jetzt genießen. Sie sind nicht zu kalt für die Hölle, wenn ich nach unsern Bettspielen urteilen darf. So lügt kein Fleisch unter vierzig. Und was der Pöbel Selbstmord nennt, ist die Krone der Masturbation. Sie gestatten, daß ich mein Lorgnon zu Hilfe nehme, damit ich das Schauspiel besser betrachten kann, Ihr letztes, Königin, mit Furcht und Mitleid. Ich habe Spiegel aufstellen lassen, damit Sie im Plural sterben können. Und machen Sie mir die Freude, aus meinen unwürdigen Händen dieses Ihr letztes Glas Wein.
VALMONT Ich hoffe, daß ich zu Ihrer Unterhaltung beitragen kann, Valmont, mit diesem meinem letzten Schauspiel, wenn ich schon, nach meinem zu späten Blick in den Schlammgrund Ihrer Seele, mit einer moralischen Wirkung nicht rechnen darf. HOW TO GET RID OF THIS MOST WICKED BODY. Ich werde meine Adern öffnen wie ein ungelesenes Buch. Sie werden es lesen lernen, Valmont, nach mir. Ich werde es mit einer Schere machen, weil ich eine Frau bin. Jeder Beruf hat seinen eigenen Humor. Sie können sich mit meinem Blut eine neue Fratze schminken. Ich werde einen Weg zu meinem Herzen suchen durch mein Fleisch. Den Sie nicht gefunden haben, Valmont, weil Sie ein Mann sind, Ihre Brust leer, und in Ihnen nur das Nichts wächst. Ihr Leib ist der Leib Ihres Todes, Valmont. Eine Frau hat viele Leiber. Ihr müßt es euch abzapfen, wenn ihr Blut sehen wollt. Oder einer dem andern. Der Neid auf die Milch unsrer Brüste ist, was euch zu Schlächtern macht. Wenn Sie gebären könnten. Ich bedaure, Valmont, daß Ihnen auf Grund eines schwer zu begreifenden Ratschlusses der Natur diese Erfahrung versagt bleiben wird, dieser Garten verboten. Sie würden Ihr bestes Teil dafür geben, wenn Sie wüßten, was Ihnen entgeht, und die Natur mit sich reden ließe. Ich habe Sie geliebt, Valmont. Aber ich werde eine Nadel in meine Scham stoßen, bevor ich mich töte, um sicherzugehn, daß in mir nichts wächst, was Sie gepflanzt haben, Valmont. Sie sind ein Ungeheuer, und ich will es werden. Grün und aufgeschwemmt von Giften werde ich durch Ihren Schlaf gehn. Ich werde für Sie tanzen, schaukelnd am Strick. Mein Gesicht wird eine blaue Maske sein. Die Zunge hängt heraus. Den Kopf im Gasherd werde ich wissen, daß Sie hinter mir stehen mit keinem andern Gedanken als wie Sie in mich hineinkommen, und ich, ich werde es wollen, während mir das Gas die Lungen sprengt. Es ist gut, eine Frau zu sein, Valmont, und kein Sieger. Wenn ich die Augen schließe, kann ich Sie verfaulen sehn. Ich beneide Sie nicht um die Kloake. die in Ihnen wächst, Valmont. Wollen Sie mehr wissen. Ich bin ein sterbendes Konversationslexikon, jedes Wort ein Klumpen Blut. Sie brauchen mir nicht zu sagen, Marquise, daß der Wein vergiftet war. Ich wollte, ich könnte Ihnen beim Sterben zusehn wie jetzt mir. Übrigens gefalle ich mir immer noch. Das masturbiert noch mit den Würmern. Ich hoffe, daß mein Spiel Sie nicht gelangweilt hat. Dies wäre in der Tat unverzeihlich.
MERTEUIL Tod einer Hure. Jetzt sind wir allein
Krebs mein Geliebter.
aus: Heiner Müller: Herzstück. Berlin: Rotbuch, 1983.

Keine Kommentare: