Donnerstag, 6. Dezember 2007

chronologisch weniger wert, dafür aber inhaltsvoll: Tallinn - Helsinki


Reisebericht Tallin – Helsinki

An dieser Stelle ein chronologisch erneut nicht richtiger Einschub, aber:

Ein unvergesslicher Tag, weil ich ein solches unglaubliches Abenteuer schon lang nicht mehr erlebt habe. Während ich diesen vergangen Tag Revue passieren lasse, schlafen Tina und Sky selig und erschöpft in dieser winzigen, fensterlosen Kabine und wir schippern gen Rostock. Es klopft von außen rhythmisch gegen die Scheiben, seit Stunden anhaltender Regen, von dem wir auf dem 7. Floor der MS Superfast Helsinki – Rostock eigentlich nicht soviel mitbekommen, es sei denn, ich müsste Sky auf dem 10. Außendeck Gassi in die Sandkiste führen. Was mir ein Rätsel ist, wie das gehen soll, zumal wir vorhin zwar das Deck gefunden hatten, nicht aber die berühmte Sandkiste. Hoffen wir mal, dass der Hund bis morgen früh zum Vorankergehen in Deutschland durchhält.
Aber das sind angesichts des vergangenen Tages alles eher winzige Problemchen.
Es begann damit, dass wir gegen halb sechs von Tinas Handywecker wie besprochen geweckt wurden, weil wir gegen viertel vor sieben am Hotel gen Hafen aufbrechen wollten, um rechtzeitig die Fähre nach Helsinki zu erwischen. Gesagt, getan: den Hund rund um Tallinns Stadtmauerwiesen geführt, noch einen ersten Kaffee im Meritan Old Town Hotel vom erstaunlicherweise schon geöffneten Frühstücksbuffet genommen und dann die Sachen halbwegs sinnvoll im tapfer auf zwei Zylindern voransprotternden Lupo verstaut.
Natürlich ging alles ein wenig hektisch zu, weil wir uns nicht ganz einig waren, wer was eingepackt hatte, aber das war dann schnell geklärt und es war auch keine schwere Entscheidung, dass ich zum nahegelegenen Hafen fahren würde, weil Tina im Dunkeln nur schlecht sieht. Alle saßen wir gespannt und aufgeregt im Auto, Zündschlüssel gedreht und ...nichts! Ungläubige, sinnlose weitere Versuche: tot. Kein Sterbensmucks, dann die Erkenntnis, es muss die Batterie sein, weil die Innenbeleuchtung offenbar anschaltet geblieben war. Unter anderen Umständen wäre so etwas kein Drama, nur Tallinns mittelalterliche Altstadt war um diese Uhrzeit wie leergefegt, in den engen Gassen rührte sich nichts und niemand. Die Hotelrezeption ebenso verlassen, der nette, aber etwas begriffsstutzige Schwule irgendwo in seinem Nachtwächterkabuff verschollen und die Frau vom Frühstückbuffet schien sehr hilfsbereit, aber eben auch etwas hilflos in dem Anweisungswust der Rezeption, die ja auch gar nicht ihrem Aufgabenbereich angehörte. Beherzt kramte sie in ihren privaten Telefonnummern, ob ihr jemand einfiele, der uns mit seinem Auto Starthilfe würde geben können, leider ohne Erfolg. Also zurück auf die Straße, in etwa 200 Meter Entfernung sehe ich jemanden aus dem Haus kommen, auf sein Auto zugehen, einsteigen und...bevor ich den Wagen erreiche,...ist er auch schon weg, ohne mein Fuchteln auch nur wahrgenommen zu haben. Und wieder gähnende Leere auf der Gasse, während die Uhr rennt und ich schon unser Fährticket verfallen und uns einen weiteren Tag in Tallinn sehe, was umso schlimmer durch den Umstand gemacht wurde, dass wir für abends bereits die weitergehende Fähre nach Rostock gebucht hatten, die somit ebenfalls ohne uns starten würde.
Tina stand völlig ratlos vor dem Hotel und starrte auf ihr Auto, als würde sie damit wiederbeleben können. Zu allem Überfluss konnte sie die Fährtickets plötzlich nicht mehr finden. Panik pur! Wie verrückt rannte sie um das Auto, versuchte mich verantwortlich zu machen, wie das Leute immer tun, wenn sie das Gefühl haben, es bricht alles über ihnen zusammen. Göttliche Komödie.
In dem Moment kam mir irgendwoher eine Art Eingebung, ich rannte zur Rezeption, der strähnchenblondierte, schlaksige Junge immer noch nicht zurück, aber die nette Frühstückskellnerin. Nach einiger Erklärungsnot, weil sie nicht wusste, was ein Starterkabel ist, ruft sie dann doch, wie ich ihr sage, ein Taxi, das dann auch – für uns schwerwiegende – zehn Minuten später erscheint. Ein Mercedes-Minivan, aber da Tina inzwischen sogar ihr eigenes Starterkabel gefunden hatte, glaubten wir die Hilfe in Reichweite.
Mit einem kurzen radegebrechten Abtausch sahen wir ein, wir waren weit entfernt davon, unsere Batterie wieder auf Trab bringen zu können. Der Mann war nett, sprach kaum Englisch und erklärte uns – für meinen Geschmack etwas ausführlich, sein Computer würde kaputtgehen, wenn er ein Starterkabel anschlösse. Das wiederum war für uns zwar keineswegs einleuchtend, aber auch egal. Niedergeschmettert standen wir da in der Morgenkälte und guter Rat war nicht teuer, sondern schlicht und ergreifend gar nicht zu haben.

Inzwischen waren auf wundersame Weise die Tickets wieder aufgetaucht, Tina hatte sie in ihrer Verwirrung in die hinten verstauten Taschen gepackt.

Dann eine weitere gute Idee, ob er ein Abschleppseil habe? Ja, er könnte uns doch damit zum Fährhafen bringen, erst einmal auf dem Schiff, würde ich schon jemanden auftreiben, der uns auch hinunterschleppte und wir könnten in Helsinki bis zum Abend sicher jemanden finden, der uns weiterhelfen würde. Tinas Lebensgeister schienen zurückgekehrt und sie schlug vor, während des Abschleppens könne man es ja durchaus auch mal mit einem Startversuch wagen. Der Hund hatte gegen seine sonstigen Gewohnheiten kaum gebellt, auch er begriff wohl, dass es um etwas wichtiges ging.
Kleiner Wermutstropfen, unser Auto stand mit dem Rücken zum Taxi und die Gasse vor dem Hotel war deutlich zu eng, als dass der Taxifahrer würde uns ganz einfach mit der Schnauze an sein Rückteil koppeln können. Darin wiederum sah der Taximann kein Hindernis, er verband einfach kurzerhand Tinas Autohinterteil mit seinem und sie sollte sich rückwärts ziehen lassen. Zunächst stand ich gebannt neben dem Geschehen und schon nach dem zweiten Rucken sah ich mit einem ordentlichen Schrecken, wohin das Ganze führen würde, denn Tina steuerte mit jedem Ruck quer über das Pflaster schlitternd auf einen Pfeiler der Burgmauer zu und ihr Lupo stand nur noch einen halben Meter völlig quer um Taxi und eben jenem Steinpfeiler. Ich versuchte, ihr durch Handzeichen anzuzeigen, wohin sie lenken sollte. Zu allem Überfluss übernah ihre Panik die Oberhand, sie hatte immerhin noch die Geistesgegenwart, ihr Fenster ganz hinabzukurbeln und mich anzuschreien: „Hilf mir, hilf mir doch, tu doch irgendwas!“ Mir blieb nichts anderes übrig, als schulterzuckend in etwa fünf Meter Entfernung zu stehen, denn mittlerweile waren beide Wagen erheblich umhergerutscht, ohne, dass sich die Lage erheblich verbessert hatte, nur, was hätte ich mit bloßen Händen tun sollen? Den Wagen mit Zauberhand stoppen, ihn von außen in Fahrtrichtung drehen, keine Ahnung, was Tina wollte und das wusste sie wahrscheinlich selbst nicht. Mal abgesehen davon, dass sie einfach ihrer Verzweiflung Ausdruck verleihen wollte.


Das Ende vom Lied war, dass ich den Taxifahrer überzeugen konnte, er müsse uns versuchen, mit der vorderen Aufhängung an sein Rückteil ankoppeln, anders würden wir es niemals in einer Viertelstunde zur Fähre schaffen. Er sah ein, dass es doch entgegen seiner Annahme auch vorn an Tina Wagen eine Abschleppvorrichtung gab, sie kriegten beide die Kurve und ich sprang erleichtert auf den Beifahrersitz.
Glücklicherweise bietet das Leben selbst in solchen Situationen immer ein paar kurze Atempausen, wir kamen relativ schnell und offenbar gerade noch vor Check-in-Schluss am Terminal an. Am Schalter dann dachte ich, ich würde schlauerweise gleich jemanden finden, der uns rauf- und in Helsinki auch wieder hinabzieht, dann müsste der Taximann nicht erst mit der Crew verhandeln, dass er vor Abfahrt ja wieder hinunter müsste. Hauptsächlich unter massivem Gebrauch von Händen, Deutsch, Russisch, Englisch und Mimik gelang es mir, einen sehr netten jungen Mann zu überreden, der bereits eingecheckt hatte.

Doch der nächste Schock ließ nicht lang auf sich warten: falscher Terminal. Mein Adrenalinspiegel hob und senkte sich, als wäre ich schon auf der Fähre bei sehr hohem Wellengang.
Wieder ein glücklicher Umstand, der richtige Zufahrtsweg zu unserer Fähre war direkt nebenan, der Taxifahrer schleppte uns dann als allerletzte hinauf, drei der Schiffsleute und ich schoben unser Auto in eine halbwegs nicht störende Position und der Taximann freute sich sehr über das Trinkgeld zu den geforderten 200 estnischen Kronen (Umrechnungskurs: dividiert durch ca. 15).

Im Gegensatz zu allem Vorangegangen war die Überfahrt absolut unspektakulär. Mal abgesehen davon, dass wir in einem Auto auf dem Schiff saßen, dass keinen Mucks von sich gab, also fahruntüchtig war, ging es uns nicht allzu schlecht, denn wir hatten es geschafft und waren auf dem Weg nach Helsinki!
Die Schiffscrewmänner retteten uns dann nach dem Anlegen mit ihrem Akkuladegerät, nach ungefähr dem fünften Versuch startete der Wagen als wär nichts gewesen und wir rollten tatsächlich aus eigener Kraft von der Fähre.

Dem Hund war all die Aufregung auf den Magen geschlagen, direkt bei der Passkontrolle gabs für ihn kein Halten mehr; Durchfall direkt am Kaizaun. Na toll, das war also mein Einstand, mit der Hundekottüte neben dem Grenzer, der dennoch ein freundliches Welcome, aber keinen Mülleimer für uns hatte. Willkommen in Helsinki, Finnland.

Wir würden bis abends 21 Uhr Zeit haben, diese wunderschöne, ebenfalls mit zahlreichen Jugendstilbauten gesegnete Stadt zu besichtigen, was wir zu diesem frühen Zeitpunkt allerdings noch nicht wussten, dass die Leute hier zwar offenbar sehr hundefreundlich waren, jedoch ein Gesetz Hunde an allen Orten, wo mit Essen gehandelt wurde, keinen Zutritt haben.
Stunden später, nachdem wir in jedem Cafe oder Restaurant, in welchem wir fragten, um uns dort aufzuwärmen, erklärte mir die Barbesitzerin den Hintergrund für unsere Odysee.
Sky blieb – auch für ihn erleichternd – dann eine Stunde im Auto im Parkhaus, während wir unseren Füßen in einem ausgesprochen schönen Teehaus eine Ruhepause gönnten. Am späten Nachmittag hatten wir halb Helsinki zu Fuß erobert, eine prima Kindereislaufveranstaltung bewundert und schon wieder Eisfüße. Nach zwei Bars dann der Erfolg, wenn wir mit Sky still in einer Ecke sitzen würden, ließe man uns gewähren. Die Cocktailbar bot uns für zwei Stunden einen willkommenen Rastplatz, wir hatten Gelegenheit, all diese sehr freundlichen Finnen, junge Päarchen, ältere Leute zu beobachten, erstere innen, letztere eher im Vorbeispazieren.

Gegen sechs Uhr dreißig genehmigten wir uns nach dem 29 Euro teuren Parkhaus (für sechs Stunden) noch einen unbezahlten Parkplatz vor einem schönen Hafenrestaurant, ließen Sky erneut im Auto, was der dankend annahm und verabschiedeten uns von Helsinki mit einem empfehlenswerten Abendessen im Mariimi.
Den Abfahrtsterminal für die Fähre nach Rostock zu finden, war ebenfalls nicht ganz einfach, aber da das Auto problemlos fuhr, wir genügend Zeit eingeplant hatten, gab es keine weiteren Verwicklungen.

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