Sonntag, 2. Dezember 2007

Das Meer ruft – wieder an die Küste: Jürmala und Kap Kolka

Bilder von der Insel Saaremaa, wo wir heute noch sind, bevor es morgen weiter gen Tallinn geht: hier



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Nach anderthalb Tagen Riga, die mir zu kurz waren, und die Tina ausreichend fand, aber nur, um einen ersten Eindruck zu gewinnen, packten wir – nunmehr routiniert – das Auto und fuhren in Richtung Jürmala. Der Marco-Polo-Reiseführer verhieß uns ebenso wie der Lonely-Planet Vielversprechendes. „20 km vor den Toren Rigas liegt die Ostsee – und der Badeort Jürmala (60.000) Einwohner. Ein kleines Städtchen, das bereits zur Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jhrdt. von den Rigaern als eleganter Badeort entdeckt wurde. Die verspielten Holzhäuser in den Stadtteilen Dzintari, Dubulti und Majori sind noch ein Relikt aus jener Zeit und werden heute zu Höchstpreisen gehandelt. Die Leute locken der feinsandige weiße Strand, der sich mehr als 30 km entlang der Küste erstreckt, das flache Wasser und die lange Flaniermeile.“ (Marco-Polo-Reiseführer, sorry, für das seltsame Deutsch)

Über eine Brücke, die gesäumt wurde von einem unsäglich hässlich-modernen Erlebnis- und Spaßbadkomplex, fuhren wir erwartungsvoll in Jürmala ein und machten uns auf die Suche nach dem Beschriebenen. Als wir in den ersten Ortschaften eher erschreckend verfallene, hinfällige Holzhäuschen fanden, die – wie so oft schon auf der Reise gesehen - durchsetzt mit all den hässlichen russischen Wohnblock-Dreigeschossern, die natürlich ebenfalls ausgesprochen baufällig und heruntergewirtschaftet sind, fanden, entschlossen wir uns in den als ältesten und angeblich schönsten Ort auf Jürmala zu fahren: Dubulti.
Doch auch hier: ja, es stimmt, hin und wieder sahen wir wunderschöne, liebevoll gestaltete Holzvillen, aber wir können uns nur schwer vorstellen, dass auch die reichen der Riganer Unsummen für ein Haus ausgeben, das vielleicht schön ist, aber dessen Wert eindeutig durch eine verwahrloste Nachbarschaft geschmälert wird. Sollten sich in den nächsten zwei Jahren genügend Investoren finden, die in Jürmala die großen, teils völlig ausgebrannt und bis auf die Skelette ausgeräumten Hotelklötze, abreißen und genug Geld in die Ortschaften fließt, um die wertvolle Bausubstanz der Holzvillen zu retten, dann machen die Jürmalaischen Orte sicher bald anderen Ostseebädern Konkurrenz.
Bisher aber waren wir jedenfalls sehr enttäuscht, selbst, wenn wir der Gerechtigkeit halber immer dazu sagen, dass wir im Winter hier sind und sicher im Sommer einiges durch angenehmere Temperaturen und blühende Gärten verharmlost wird. Dennoch würden wir eher Kap Kolka als Reiseziel empfehlen.
Das Kap erreichten wir über einen Umweg und durch einen orkanartigen Schneesturm, der uns plötzlich bei Talisi im Landesinneren überraschte, erst spät abends und völlig erledigt.

Kolka bildet die nördliche Spitze Lettlands und reckt das Kapkinn gen Estlands größter Insel Saaremaa, auf der wir uns zur Zeit befinden. Nachdem wir wirklich kaum noch die Straße vor dem Autobug erkennen konnten, die Straße im Nu von zentimeterhohen Schneewehen eingeengt wurde und es ja ohnehin immer bereits gegen vier Uhr stockfinster ist (wir liegen hier eine Stunde vor Deutschland in der Uhrzeit und hatten schon mehr als einmal das Gefühl, eigentlich immer nur halbe Tage zur Verfügung zu haben), wollten wir eigentlich nur noch in irgendein Hotel. Wir hätten wohl unter diesen Umständen auch mit einer beheizten Fischerkate vorlieb genommen, aber es gab außer dieser plötzlich endenden Asphaltstraße und dem beginnenden Schotterweg durch einen noch düstereren Nationalpark nichts und niemanden.
Heilfroh, dass die wenigen Radiosender uns nicht im Stich ließen und uns mit angenehmer Chillout,- dann wieder Achtziger-Jahre-Musik aufbauten, heilfroh auch, dass wir dem Wechsel der Sprachen folgen durften: Russisch, Lettisch, Litauisch, teilweise eine englisch-lettländische Predigt eines Gospelpriesters uns immer wieder daran erinnerten, es gab noch etwas außerhalb des Dickichts und dem Ende der Welt, auf das wir hinzuzufahren schienen.

Überhaupt sind die Radiosender hier einen kurzen Einschub wert: Bis auf wenige Ausnahmen in Estland waren wir fast immer sehr zufrieden mit der Mischung an Musik, an Werbeeinblendungen, die viel kürzer und weniger reißerisch als bei uns sind, und mit den Stimmen der Moderatoren und Moderatorinnen. Sie haben angenehme, nicht mit Bässen unterzogene Stimmen und sind offenbar nicht unter 22, wie das häufig bei unseren Privatsendern der Fall zu sein scheint, wo die Zuhörer permanent geduzt werden und kaum noch die deutsche Grammatik beherrscht wird. Natürlich verstehe ich hier nur ausgewählte Worte und kann mir über die angewandte Sprachgewandtheit kein Urteil erlauben, aber alles in allem waren wir selten genervt und nur in Lettland wechselten wir ab und an den Sender, weil wir mit Headbangingmusik und Heavy-Metal nichts anfangen können.

So, nun aber zurück in die Nacht am Kap; Tina schrieb dazu: „Letzte Ausfahrt Kap Kolka“

...man sollte es gesehen haben, dieses Kap, denn es ist wirklich einsam, besonders und wahrscheinlich nicht nur im Winter gespenstisch gut. Selbst, wenn unser ausgefallenes Erlebnis in einem filmreifen Set und einem Holzhotel Marke nordischer Eigenbau-Ikea-Verschnitt einzigartig und nur im Winter zu erleben ist, die Landschaft des Kaps, die Strände und selbst die stinkende Fischfabrik im Sonnenaufgang sind einen Besuch absolut wert.

Tinas Schilderung der Hotelsuche lautet folgendermaßen: „Angekommen in Kap Kolka, weit und breit kein einziges Hotel oder Guesthouse in Sicht, nur dann endlich auf der Hauptstraße, ein Supermarkt. Carola schickte mich hinein, um zu fragen, wo es denn hier irgendeine Unterkunft gäbe, immerhin hatte ich im Reiseführer gelesen, dass mindestens zwei im Ort verfügbar seien. O.k., einer davon fiel flach, ich hatte überlesen, dass es der Campingplatz war. Aber die andere Option würde doch wohl zu finden seien.
Im Supermarkt, der glücklicherweise auch in einem kleinen Ort wie diesem bis 22 Uhr geöffnet hatte, bekam ich von der Kassiererin die Antwort, sie spreche kein Englisch. Ich versuchte es mit Zeichensprache, legte meinen Kopf zu Seite. Eine Zwölfjährige sprang stolz als Dolmetscherin ein, sie sagte, ja, natürlich, es gebe doch direkt nebenan das Hotel, die Zimmerschlüssel seien doch bei der Kassiererin. Es stünden eine deluxe-suite und ein Standard-Zimmer zur Wahl. Kurz entschlossen griff ich zur besseren Wahl und nahm die deluxe-Variante.“

Und schon wurde uns geholfen, wir hatten Zimmer Nummer 12, am Ende des Ganges ein Zwei-Zimmer-Appartment mit sehr niedrigen Sesseln an einer riesigen Kierfenholztafel, einer leeren und damit fast unsinnigen Kiefernschrankwand sowie eine gut funktionierende Elektroheizung. Der Riesenfernseher strahlte mindestens drei deutsche Programme aus, davon hatte Tina den Vorteil, „das perfekte Dinner“ und eine Diätshow sowie eine Auswanderserie schauen zu können.

Ich saß unterdessen im Schlafzimmer auf einem Schemel an einer Art Schreibtisch und versuchte mich an einem der früheren Reiseberichte. So, wie ich heute an einer Art Damenkosmetiktischchen in einem wunderbaren SPA-Hotel namens Rose in Kuresaaree (auf der Insel Saaremaa) sitze und über schon wieder Vergangenes schreibe.

Zu guter Letzt, denn es ist schon wieder gegen 22 Uhr und ich muss noch hinunter in die Hotellobby, um den Internetempfang zu nutzen, das Baltikum ist ganz sicher jede Reise wert, aber tut Euch selbst einen Gefallen und nehmt Euch ein wenig mehr Zeit als nur zwei Wochen, denn, wenn Ihr/Sie wirklich alle drei Staaten kennenlernen wollt, braucht Ihr/Sie mindestens vier Wochen.

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