Dienstag, 16. Januar 2007

break down


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Fortsetzung
„Lasst uns noch zwei Flaschen Champagner kaufen und dein Outfit ein wenig verändern,„ schlug Gior vor, wobei er mit seinem rücksichtslosen Zeigefinger schamlos gegen mein Brustbein stieß. Gerade wollte ich empört seine Hand wegschlagen, als Joe meinen Arm, den sie immer noch untergehakt hielt, fest drückte: „Er hat Recht, heute bist du es, die, da Thomas den Deutschen in Cord mimt, die aus dem Rahmen fällt.„
„Was stimmt denn nicht an meinen Sachen?„ blickte ich ratlos in die Runde. Joe, makellos in Stöckeln, Mantel und dem kleinen Schwarzen, ok, mit ihr würde ich nie mithalten können. Allein die Art, wie sie damenhaft ihre Handtasche um den linken Arm gewickelt trug - keine Chance. Thomas, nun gut, breiter Manchesterstoff in Dunkelgrün und Hellbraun mochte nicht jedermanns Sache sein, aber auch er gab eine gute Figur ab. Dass dem Gondoliere seine Arbeitskleidung als Ausgehgarderobe abgenommen wurde, konnte ich als Nichtvenezianerin nicht kritisieren und Gior war, wahrscheinlich dank eines Arbeitgeberrabatts in tadellos sitzendem Armani-Anzug ebenfalls unerreichbar.
„Habt ihr bei Armani einen Kostümverleih?„ versuchte ich, mich in meine Kapuzenjacke zurückziehend, den kläglichen Versuch einer Erklärung. Denn anders als Thomas brauchte ich meine EC-Karte gar nicht erst in den Automatenschlund zu geben, der würde sie sang- und klanglos schlucken und sperren.
„Such dir was aus, ist eine Geschenke des Hauses.„ Generös verwies Gior auf den schwarzblauen Armani-Frack im Schaufenster, denn das musste man ihm lassen: Er hatte sofort gesehen, dass der Anzug und ich ein glanzvolles Paar abgeben würden.
Keine zehn Minuten später kam ich unter dem Beifall der Umstehenden aus der Kabine und fühlte mich wie neugeboren.
„Hey Guys, noch weniger als eine Stunde.„ Luigis eindringliche Mahnung ließ uns aufhorchen. Gior schloss den Laden ab, nachdem er uns beherzt hinausgelotst hatte. „Rechts,„ gab er die Richtung an und übernahm die Führung.
„Bei euch ihr würdet nehmen eine Taxi, right?„
Dagegen hätte ich nichts einzuwenden, es war trotz wärmenden Mantels so unfassbar kalt, dass ich schlotterte wie vor einem Zahnarztbesuch. Auch Joe schlugen die Kiefer hörbar aufeinander. Gior und der Gondoliere stimmten auf Italienisch, Venezianisch, jedenfalls für mich vollkommen unverständlich, etwas ab. Hektisch, wie mir schien.
„Was reden sie?„ nervte ich Joe, die Mühe hatte, unser schnellen Truppe in den High-Heels über das holperige Kopfsteinpflaster zu folgen.
Sie zog mich zu sich heran: „Nicht so schnell! Irgendwas über Geld, ein Wassertaxi, die Party, keine Ahnung. Die pflegen einen Akzent, das einem schwindlig werden kann...„ Joe hatte mehr als drei Jahre in Mailand gelebt, dass sie etwas nicht verstand, kam selten vor. Grund genug, mir wieder Sorgen zu machen, ich sah Thomas wankende Gestalt neben Giors Kahlkopf, den Gondolieri auf unsern Armani-Verkäufer pausenlos einredend und wusste nicht, ob ich meiner Skepsis vertrauen sollte. Niemand von uns war nüchtern, ich hatte gerade teure Sachen geschenkt oder geklaut bekommen, wer wollte das genau recherchieren? Wir waren drei ahnungslose Deutsche, zum ersten Mal in Venedig, einer Stadt, wo die Kanäle nur so dazu einluden, unliebsame Besucher fürs erste verschwinden zu lassen und wir hatten nicht nur einen heißen Gockel namens Gior, der auf Thomas-ich-bin-doch-aber-Hetero abfuhr, sondern auch einen völlig undurchschaubaren Gondolieri bei uns. Und keiner von uns wusste, wo wir eigentlich waren.
„Man kann das menschliche Gehirn mit einem Schachbrett vergleichen.„ lässt Kerr die Mörder-Hauptperson in seinem grausam-beeindruckenden „Wittgenstein-Projekt„ mitteilen. Und das sein Mörder ein ganz Gewievter ist, der die Topologie des Opferhirns genau kennt, weil er nämlich weiß, dass die Ausgänge des Hinterhirns so großflächig verteilt sind, dass sie niemals mit einem Schuss ganz zerstörbar sind. Schlussendlich beschwert der schreibende Intelligenzbestienbesitzer und Killer sich darüber, dass eines seiner Opfer trotz waltender Vorsicht und Hinrichtung per Genickschuss mehrere Tage im Koma überlebte. Wenn man das Koma Überleben nennen will. Vielleicht sollte jemand wie ich gar keine Krimis oder Thriller mehr lesen. Vielleicht sollte ich weder fernsehen noch lesen, oder wenn schon, dann nur noch Naturberichte, Kindersendungen, Kunstbeiträge. Doch kann irgendwer mir versichern, dass im Genannten nichts Grausames auftaucht? Und selbst wenn, wäre ich dann vor meiner eigenen opferwilligen Phantasie gefeit, die mich in Situationen wie dieser, in welcher Thomas und Joe sich gutgelaunt geben, in der ich mich voller Angst mit Zitaten eines Thriller-Autoren foltere?


Eric Saties Klaviergetröpfel bemüht. Die bei der Eiablage von den Spermien befruchteten Eizellen werden später von den Weibchen in Trauben an geschützten Stellen aufgehängt, und die Nachkommen entwickeln sich ohne die Elterntiere. Auf dem 40. Breitengrad zwischen der koreanischen Halbinsel und dem japanischen Archipel treiben regelmäßig 300 bis 400 Tintenfischkutter, die gewaltige Bordlampen einsetzen. Mein Gott, Gedankenfischer müsste man sein. Ich warf jede Menge Köder in meinem Hirn aus und am Ende stellte ich einfach nur fest, ich rekapitulierte Gelesenes. ich bin nichts andres als eine Vokabelfetischistin, oder, wie Sarah Khane einmal schreib: Wortkleptomanin.
Vögel und das Plätschern der Ruder, aber wenn ich es fertig brächte, sie zu fragen, wäre da noch ein anderer Ton.
Ich mag, wenn die Dinge anders laufen, als es anfangs aussieht. Als sie sich umdrehte und fragte: „How could this be the millennium?„, schüttelte ich den Kopf, und spuckte ins brackige Wasser. Was sollte ich auch sagen? Vor der Reise, auf der Karte hatten die Kanäle ausgesehen wie fächelnde Algen, und es war genau dieser Anblick von Venedigs Stadtplan, der mich sicher werden ließ. Dass alles gut gehen würde. In ein paar Stunden würde es sein, als hätten wir alles nur geträumt: die Computerfehler, die Katastrophen, die Dunkelheit.

Wir standen so hilflos zwischen zwei Augenblicken: Eine Fremde und ich, die ich noch dazu plötzlich an jemand anderen denken musste. Hatte es so kommen müssen? Schicksal? Wieso sonst hat Hollywood solchen Erfolg? Jetzt richteten sie die Neujahrslaser auf den Palast am Markusplatz und wieder einmal wurde mir klar, dass diese Stadt schon länger als tausend Jahre existierte. How could this be?
Sie blieb an einer Brücke stehen, um eine Zigarette zu rauchen, nebenbei begann Leslie zu singen: „Don't„ und sie imitierte Elvis verblüffend. Hypnotisiert lauschte ich, Leslies Stimme übertraf nicht nur ihr Outfit als auch ihre normale Sprechtonlage. Ihre seltsame Entschlossenheit brachte mich aus dem Konzept. Diese Art dazustehen, einen Schmollmund zu ziehen und lange Rauchsäulen auszustoßen. Das Licht, das im Bürogebäude nebenan noch brannte, legte ihr Muster aufs Gesicht. Deshalb küsste ich sie mit geschlossenen Augen, und tat, als erwiese ich ihr damit einen Gefallen. Und sie, als könnte sie es kaum erwarten, herauszufinden, wie ein Mädchen sich anfühlt, antwortete, ihre Zunge unerwartet kräftig und neugierig zwischen Lippen und Zahnreihen.
Ich dachte, irgendwie ist könnte es in einem dieser Strip-Clubs spielen. Da, wo die Rausschmeißer noch Smoking tragen und die Mädchen, weil sie tagsüber im College hocken, abends eine Offenbarung erleben oder möglicherweise eine sind.

Obwohl ihre Küsse berauschend feucht und unnachgiebig waren, dachte an dich und hatte das Wort „Tiefseetauchen„ im Ohr.
Wie es sein würde, eines nachts wieder mit dir an einem Tresen zu hocken, wie würde ich dich dann nennen: Ex, oder Noch-Freundin? Wir wissen doch Bescheid, die Dinge ändern sich...

Die Kirche, zu der Leslie uns führte, stammte aus dem 13. Jahrhundert. Dort standen wir vor diesem Altar aus dem Jahr 1495, aber die Gruft trug Inschriften aus dem 18. Jahrhundert. Weil ich keinen Stift dabei hatte, schrieb ich mit meinem Kayal die Daten von den Tafeln ab. Leslie lächelte. Der Kayal brach ab. O.k., vielleicht hatte sie Recht. Es war zu kalt. Sie kämmte meine Augenbraue mit ihrer Zunge, während ich versuchte, mit dem Rest der Mine zu kritzeln.

Bevor man seine Gedanken vom Dach schubst, sollte man sich an das umwerfende Blau der Geistes erinnern, man sollte innehalten und atmen. Das hört sich nach Sekte und „Om„ an, aber die Farbe von damals ist fast alles wert. Du musst nur die Augen schließen und die Gedanken sich selbst überlassen. Dann taucht sie auf, jene Farbe, als Armstrong und Gagarin, als sie dieses Blau entdeckten, als sie die Nikon ans Bullauge hielten und abdrückten. Ich schrieb wie besessen, dann lächelte Leslie an. „I don`t know. Manchmal ist es nicht fair zu erwachen. Leslie biss sich auf die Unterlippe, deshalb versuchte ich, mir keine Gedanken mehr zu machen. Die ich mit mir trug, waren kompliziert genug.

Es quietschte, filmreif, genau richtig. Jemand schnarchte und hinter der Rezeption röchelte die Portiersfrau. Sie drehte ihren Kopf nach rechts, im Flur, keine fünf Meter entfernt, begann ein blinkender Weihnachtsmann in quietschendem Englisch „Jingle Bells„ zu singen. Geistesgenwärtig, aber verstohlen, steckte ich ihn in meine Daunenjacke. Niemand registrierte, was ich da machte.

Zeit für gute Vorsätze. Leslie zog mich hinter sich her, hatte sie es eilig? Ausgerechnet jetzt, ein paar Minuten vor Zwölf? Überhaupt: Wo waren Joe und Thomas abgeblieben? In meiner Tasche blinkte der Weihnachtsmann.

Normalerweise taste ich nicht nach dem Lichtschalter, aber plötzlich wurde mir etwas klar: Das machte ich nur, weil ich vor einigen Jahren den Komet Hyakutake verpasst hatte, wie er durch die kalifornische Düsternis gleiste. Damals hatte ich den Fernseher angeschaltet. Aber in dem Moment, da ich den Lichtschalter drückte, veränderten sich die Verhältnisse und ich verpasste die Bilder. Hier in Venedig gab es jede Menge Sterne, aber eben keinen Kometen.
Dafür hatten die Bäckereien geöffnet. Leslie hatte zwei Krapfen gekauft, der Bäcker trug sein Nachthemd, er musste vermutlich früh wieder raus. Ich mochte weder Krapfen, noch Männer in Nachthemden. Immer fehlte etwas zur Perfektion. „Don't move„ riet ich Leslie, als ich die Kamera aus meinem Rucksack fischte, aber ich dachte: „Ich erfriere, Himmel noch mal!„ Wir standen unter dem geöffneten Hotelfenster wie unter einem Kummerzelt und hatten nichts anderes im Sinn, als das Licht dieses Moments auf Papier und gepresste Chemikalien zu bannen. Sie hatte das Fenster geöffnet, kaum, dass wir das Hotelzimmer betreten hatten und wippte ihre Hüften als stünde sie in der Karibik. Und ich wette mit dir, sie glaubte, eine gute Tänzerin zu sein. Genau da wurde es auch kompliziert. Für mich. Sie drehte mich um sich, Eros Ramazottis Stimme schnalzte bestimmte Konsonanten. Jemand rief:„ Gesundes Neues Jahr!„ Ihr Turteltauben!„. Wieso küssten sich Thomas und Joe nicht?, dachte ich und wünschte mich fort. „I cant dance!„ stammelte ich. Hilflos, das beschrieb mich am ehesten. Quer in ihren Armen stellte mir vor, wie ich mich in ein paar Stunden anhören würde. Leslie lächelte, bevor sie mich küsste. Das Fensterkreuz wirkte nicht besonders stabil, als ich mich daran festhielt, aber der Sternenhimmel über der sinkenden „Titanic„ konnte nicht beeindruckender sein. Leslies Augen vergrößerten sich, sie holte mich mit dem Blaugrün einer nächtlichen Königin an Bord. Gegen diese Macht war ich nicht gefeit, keineswegs. Klischee, nein, das war nicht der richtige Ausdruck. Karma? Schon besser. Ihre Küsse waren weit mehr als nur die Berührung fremder Lippen. Fargo, klassische Grausamkeit und Schnee. Statt ihr zuzusehen, flüchtete ich in Sprache: Ich versuchte Leslie in brüchigem Englisch klarzumachen, dass Vivaldi in Venedig geboren, aber hier nicht verehrt wurde, hier in Venedig. Scheinbar weigern Venezianer sich, Ruhm ganz oben einzuordnen. Noch einmal geriet ich ins Stocken, als ich den Flaum auf ihren Unterarmen entdeckte. So blond und zaghaft, dass ich unweigerlich an Tara denken musste. Leslie tanzte auf ihr eigenwillige Art, in dieser leidenschaftlichen Geistesgegenwart und sehr blond. Thomas öffnete beiläufig das Fenster.

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