Donnerstag, 7. Juni 2007

Nachtrag

Linda Polman

DER HILFE-SUPERMARKT

Humanitäre Organisationen, Geschäfte, Medien und Kriegsparteien

(Auszug / aus Lettre International 69)

(…) Außer 250 NGOs gab es in der Region acht verschiedene UN-Abteilungen, etwa zwanzig staatliche Geberorganisationen, unzählige von Geberorganisationen finanzierte örtliche Hilfsorganisationen und neun internationale Militärkontingente, die die Hilfe im Gebiet der Großen Seen unterstützten. Hundert der 250 Hilfsorganisationen kümmerten sich ausschließlich um die Lager rund um Goma. Bei einer derartigen humanitären Megaveranstaltung nur dabeizusein reicht nicht aus. Zeigen, daß man da ist, um bei der überwältigenden Konkurrenz nicht unterzugehen, ist für die Hilfsorganisationen von größerer Bedeutung. Als ich nach Goma kam, ein Jahr nach dem Einmarsch der Hutu, flatterte über den Hunderttausenden von blau-weißen UNHCR-Planen, die die Flüchtlinge zum Bau von Hütten bekommen hatten, noch ein Meer von Fähnchen mit Firmenlogos. Hatten solche Banner einst die Funktion, den Konfliktparteien zu signalisieren, daß hier humanitäre und keine militärische Organisationen am Werke waren, so sind sie jetzt Grenzmarkierungen im Kampf um Aufmerksamkeit. Es war, als stünden Wahlen bevor. Auf T-Shirts und Mützen der vielen Hundert Mitarbeiter der Organisationen, die sich zwischen den Hütten herumtrieben, und auf den Türen ihres Fuhrparks war Werbung gedruckt, Latrinentüren waren mit Aufklebern übersät, und vor den Eingängen von Bürozelten, Wellblechkliniken und Waisenheimen waren Namensschilder in den Boden gerammt.

Ich sah Flaggen mit dem Logo der Weltgesundheitsorganisation (WHO), des UN-Kinderhilfswerks UNICEF, der International Organisation for Migration (IOM), der UN-Abteilung für humanitäre Angelegenheiten (DHA) und des Welternährungsprogramms (WFP). Die Farben der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften (IFRC) auf Schildern und Flaggen erkannte ich auch, doch Organisationen mit Namen wie GTZ, THW, AICF, AMDA, CAFOD, OFDA, CRS und CEPZa/CELZa sah ich hier zum ersten Mal.

Oxfam, Merlin, Equilibre, Trocaire, GOAL und Concern waren ebenfalls beteiligt wie das kanadische und deutsche CARE, die deutsche, niederländische und spanische Caritas, die Swedish Rescue Services Agency, der Order of Malta, Solidarité Française, das italienische Emergency, die deutschen Notärzte sowie die französischen, belgischen und niederländischen Abteilungen von Ärzte ohne Grenzen. Die weltweiten Kirchengemeinschaften waren vertreten durch die Medical Missionaries of Mary, Samaritans Purse, der Lutherische Weltbund und Christian Aid. Zudem entdeckte ich noch ActionAid, Refugee Help, Terre des Hommes, Help the Aged, Food for the Poor, Feed the Children und Save the Children.

Ich versuchte mir vorzustellen, wie ein erschöpfter Flüchtling nach Goma gewankt käme, überwältigt würde vom Werberummel und sich dann denken würde: ‘Ich werde erst einmal bei CARE frühstücken. Dann zu Mittag essen bei World Vision. Später schau ich mal beim Roten Kreuz vorbei wegen ein paar Medikamenten, und danach hole ich mir noch eine Plane und eine Decke beim UNHCR’“, schrieb Richard Dowden in The Economist, als er 1994 die Katastrophe besuchte. Er nannte Goma einen „Hilfe-Supermarkt“.

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